Pflanzenlabor auf 2480 Metern über Meer

27.08.2025

Langfristige Effekte der Erwärmung auf alpine Pflanzen

In der Val Bercla oberhalb von Mulegns stehen sechseckige Kunststoffkonstruktionen in der Berglandschaft. Sie sind Teil eines grossen Netzwerks zu Folgen des Klimawandels: ITEX, das Internationale Tundra-Experiment (https://www.gvsu.edu/itex/). Die oben offenen Kammern erwärmen die Luft im Inneren um etwa zwei Grad Celsius im Vergleich zur Aussentemperatur. Sie simulieren die Klimaerwärmung.

Der Biologe Christian Rixen vom WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos betreut die Versuchsfläche in der Val Bercla seit 2009. Ursprünglich angelegt wurde sie bereits vor über 30 Jahren. Rixen erklärt, warum ITEX nicht nur arktische Regionen berücksichtigt, sondern auch alpine Regionen miteinbezieht: «Tundra ist streng genommen der baumlose Bereich der Arktis. Aber die Ähnlichkeiten mit hochalpinen Gebieten sind sehr gross», erklärt Rixen. Viele Pflanzenarten sind identisch, die Bedingungen ähnlich: lange Schneebedeckung, tiefe Temperaturen. So wächst der Gegenblättrige Steinbrech sowohl auf dem Dom in den Walliser Alpen auf 4546 m ü. M. als auch an der Nordspitze Grönlands – nur 700 Kilometer vom Nordpol entfernt.

Das Besondere an ITEX: Alle Standorte weltweit arbeiten nach einem einheitlichen Protokoll. So können die Daten verglichen und gemeinsame Trends erkannt werden. Die Temperaturdifferenz in den Kammern bleibt meist konstant, ausser bei starkem Wind. Dieser einfache, kostengünstige Aufbau ermöglicht, dass Versuchsanlagen über Jahrzehnte bestehen können. Unter anderem wird erfasst, welche Pflanzenarten in den Versuchsflächen vorkommen, in welcher Häufigkeit und wie sie sich über die Zeit verändern. Nicht nur, ob eine Art mehr wird oder verschwindet, sondern auch, ob sie grösser wird.

Kälteliebende, alpine Pflanzen reagieren sehr langsam auf Temperaturveränderungen: «Die sind sehr, sehr vorsichtig. Das hat Vorteile, etwa bei Spätfrösten, aber macht sie anfällig für Konkurrenz durch schneller wachsende Arten», erklärt Rixen. So zeigt sich in der Val Bercla, dass Spezialisten wie der Gegenblättrige Steinbrech zurückgehen und Sträucher wie kleine Weiden sich ausbreiten. Dennoch sei der alpine Lebensraum, auch dank seiner topografischen Vielfalt – von sonnigen Graten bis zu schattigen Mulden – relativ gut gepuffert. «Unsere Berge sind hoch, viele Arten können noch nach oben ausweichen», sagt Rixen. Doch es geht nicht nur um das, was oberirdisch sichtbar ist.

Kaltklimatische Böden speichern riesige Mengen an Kohlenstoff. Wenn sich durch die Erwärmung die Zusammensetzung der Vegetation verändert, beeinflusst das auch die Bodenaktivität – mit Folgen für die globale CO2-Bilanz. «Was wir heute noch nicht genau beziffern können, ist, wie viel Kohlenstoff wir durch die Prozesse gewinnen oder verlieren», sagt Rixen. «Aber wir wissen, dass diese Frage enorm wichtig ist.»

Dass es diese biologische Forschung in Davos gibt, ist aus Rixens Sicht sehr wertvoll: «Das SLF ist viel mehr als ‹nur› ein Lawinenforschungsinstitut. Es gehört zur WSL, der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft. Unsere Gruppe in Davos forscht zur Vegetation, zu Alpweiden, zum Schutzwald und zur Auswirkung des Klimawandels auf die alpine Flora.»

WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Davos
Flüelastrasse 11
7260 Davos Dorf

WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Davos