Fast neunzig Jahre tägliche Schneemessungen

29.04.2025

Unterwegs mit SLF-Schneeklimatologen Christoph Marty

«Die Wettervorhersage war fünfzig zu fünfzig, Sonne oder bedeckt, immerhin haben wir Pulverschnee», sagt Christoph Marty und macht sich auf den Weg die Piste hinab. Es ist kurz vor halb neun an einem Donnerstagmorgen im März, es schneit, und die Sichtweite beträgt wenige Meter. Marty ist auf dem Weg zum Versuchsfeld Weissfluhjoch des WSL-Instituts für Schnee- und Lawinenforschung SLF, rund 150 Höhenmeter unterhalb der Bergstation der Standseilbahn Parsenn.

Marty ist Schneeklimatologe am SLF und Experte für die langfristige Entwicklung von Schneehöhen. Am Versuchsfeld erhebt er regelmässig wichtige Daten für seine Arbeit – und für die seiner Kollegen. Heute begleiten ihn die Masterstudentin Isabella Anglin und die Praktikantin Leah Gaillard Festa. Zu dritt beginnen sie mit der Arbeit – und das bedeutet: erstmal schaufeln. Um die Daten zu sammeln, benötigt Marty ein mehrere Quadratmeter grosses Loch, das bis zum Boden reicht. «Wir haben Glück, heute beträgt die Schneehöhe nur 127 Zentimeter, es könnten auch drei Meter sein», sagt der Forscher.

Jahrelange Messverfahren für Datenvergleich

Nebenher misst Marty die Temperatur des Schnees. Minus 2.6 Grad Celsius sind es. «Das bedeutet, dass die Schneedecke noch nicht nass ist», erklärt der Wissenschafter. Dann treibt er einen Metallzylinder von oben in die Schneedecke, bis diese mit einer Schneesäule gefüllt ist, und hängt sie an eine Federwaage. So ermittelt er die Dichte der Schneedecke. In Kombination mit der Schneehöhe kann er daraus den Wasserwert der Schneedecke bestimmen. Das gibt an, wieviel Wasser beim Schmelzen der Schneedecke abfliessen würde.

Gaillard Festa ist heute das erste Mal dabei und ist begeistert von den zahlreichen Messverfahren. «Wir haben ja auch rund 90 Jahre Zeit gehabt, unsere Verfahren zu entwickeln und zu verfeinern», schmunzelt Marty. In der Klimatologie sind solche langen Zeitreihen wertvoll, bei denen Forschende immer die gleichen Methoden verwenden, auch wenn diese altbekannt sind. Dies erleichtert die Vergleichbarkeit der Daten. Bereits 1936 hat die Forschungsstation Weissfluhjoch der Schweizerischen Schnee- und Lawinenforschungskommission, der Vorläuferin des SLF, das Versuchsfeld auf 2536 Meter ü.M. eingerichtet. Auf dieser Höhenzone liefert sie die weltweit längste kontinuierliche Messreihe mit täglicher Auflösung.

Datenreihen ermöglichen Zukunftsprognosen

Nicht alles ist Handarbeit. Im Gegenteil. Mittlerweile stehen einige Hightech-Geräte zur Verfügung und vor Ort: Laserscanner, Ultraschallsensoren, Radar und vieles mehr, betrieben von diversen Forschungsteams am SLF. Sie alle liefern zusätzliche Informationen, benötigen aber häufig die lange Messreihe des SLF als Referenz. Solche langfristigen, mit den immer gleichen Methoden erhobenen Datenreihen sind für die Wissenschaft unentbehrlich, gerade in Zeiten des Klimawandels. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit ermöglichen Forschern wie Christoph Marty Prognosen für die Zukunft. «Wenn wir einen Trend zu weniger Schnee in Folge des Klimawandels feststellen, bedeutet das auch, dass wir in einem trockenen Sommer in der Schweiz weniger Wasser zur Verfügung haben», nennt er ein Beispiel.

Mittlerweile ist die Sonne rausgekommen. Marty schnallt seine Skier an und macht sich auf den Weg ins Tal, zurück an den Schreibtisch. Dort wird er die gemessenen Daten aufbereiten. Nicht nur für seine Forschung. Auch andere SLF-Teams oder das Bundesamt für Umwelt profitieren von diesen Daten. Anglin und Gaillard Festa bleiben zurück. Sie nehmen weitere Proben und schaufeln danach das Loch zu.

WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Davos
Flüelastrasse 11
7260 Davos Dorf

WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF, Davos